Lösungsfokussierte Beratung

Lösungsfokussierte Beratung

…oder auch: Was darf es anstatt des Problems sein?

Die lösungsfokussierte Beratung (LFB) verstehe ich als eine Art Schlüssel zu einer Schatzkiste, der unseren Klient:innen dabei hilft, ihren eigenen Ideenreichtum wieder aufzuschließen und ihre Probleme aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Im besten Fall begreifen sie ihr Problem als eine Situation, die sie mit etwas Fantasie überwinden können.

Mich hat die LFB vom ersten Ausprobieren begeistert, da sie sowohl aus Klient:innen Sicht, als auch aus Beratenden Sicht durch ihre Einfachheit und Effektivität überzeugt. Ich denke, dass sich hinter vielen Problem eigentlich ein Ziel versteckt bzw. eine Fähigkeit, die wir erlernen möchten und sobald wir das erreicht haben, das Problem verschwinden bzw. weniger relevant wird. Daher finde ich die Frage nach dem „Wozu“ (wo will ich hin? Der Blick richtet sich nach vorn) oft viel spannender als die Frage nach dem „Warum“ (zielt ausschließlich nach hinten und sucht in der Vergangenheit, ist also rückwärtsgewandt).

Was ist die lösungsfokussierte Beratung?

Die lösungsfokussierte Beratung ist eine zielorientierte und ressourcenbasierte Form der Beratung, die Klient:innen bestärkt, indem sie ihnen Hoffnung gibt und ihre Kreativität anregt. Zudem ist es eine Form der Unterstützung, die Klient:innen dabei helfen kann, ihr eigene Selbstwirksamkeit (wieder) zu erfahren.

Der Fokus liegt im Gegensatz zu einigen Therapie- und Beratungsformen nicht auf Problemen und ihren Ursachen, sondern auf dem Finden von Lösungen.

Der problemorientierte Ansatz hat seine Stärken vor allem bei Problemen mit einer klar erkennbaren Ursache. Ähnlich wie bei einer kaputten Maschine, bei der es wichtig ist, die Störungsursache zu identifizieren, um sie zu reparieren.

Der lösungsorientierte Ansatz ist wiederum hilfreich, wenn die Angelegenheiten komplexer werden und sich nicht eindeutig eine Ursache identifizieren lässt oder die „Problemklärung“ keine Hinweise darauf gibt, wie der Konflikt gelöst werden kann.

Natürlich darf auch die Vergangenheit eine Rolle spielen. Jedoch dient diese viel mehr dazu, Ressourcen zu entdecken und nicht die „Wurzel“ des Problems zu ergründen.

Bei der lösungsfokussierten Beratung gibt es viele Parallelen zur systemischen Beratung. Zudem lassen sich Interventionen (systemische Methoden) aus der systemischen Beratung und Therapie optimal in der LFB einbauen, was sich im Laufe des Artikels zeigen wird. Diese Form der Beratung eignet sich für Einzelpersonen, Teams und Organisationen, in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, Paartherapien uvm..

Voraussetzungen für die lösungsfokussierte Beratung

Für eine erfolgreiche lösungsfokussierte Beratung ist es notwendig, die Fantasie und somit das Kreativitätszentrum unserer Klient:innen anzuregen. Um Kreativität anzuregen, müssen zunächst die Regionen unseres Gehirns aktiviert werden, die für kreatives Denken zuständig sind. Diesen Zustand über einen Großteil der Sitzung aufrechtzuerhalten, ist die Herausforderung der lösungsfokussierten Beratung. Der Fokus liegt auf Zielen, Ressourcen (bisherigen Bewältigungsstrategien) und Ausnahmen vom Problem (in welchen Situationen ist das Problem weniger oder gar nicht vorhanden?).

Im Umkehrschluss heißt das auch, dass wir als Berater:in in der LFB dabei unterstützen, dass das Gehirn unserer Klient:innen nicht in den Notfallmodus schaltet.

Dieser wird beispielsweise aktiviert, wenn

  • Wir uns selbst die Schuld für ein Problem geben,
  • anderen die Schuld an unserem Problem geben,
  • uns Gefühle wie Scham oder Schuld bedrücken,
  • wir uns verzweifelt und hoffnungslos fühlen,
  • wir davon ausgehen, dass etwas Schlimmes passieren wird,
  • wir uns einsam und isoliert von anderen Menschen fühlen.

Es ist sehr schwierig, Ideen zu kreieren, während sich unser Gehirn mit den o.g. Themen auseinandersetzt. Infolgedessen bleiben die Türen zur Kreativabteilung meist geschlossen.

Schaffen wir es jedoch, unsere Klient:innen dabei zu unterstützen, die Tür zum Kreativitätszentrum zu öffnen, kann die Fantasie wieder frei fließen.

Umsetzung

Um die LFB in der Kürze etwas greifbarer zu machen, skizziere ich im Folgenden mögliche Phasen der Beratung (inkl. möglichen Fragestellungen und Interventionen).

Phase 1: Aktivierung der Kreativität und Zielfindung

Es gibt zahlreiche Methoden, das Kreativitätszentrum im Gehirn zu aktivieren.

Ein paar Beispiele:

  • Über das Ziel sprechen anstatt über das Problem (Was möchtest du anstatt des Problems? / Du willst also nicht mehr xxx, sondern?)
  • Dem Ziel Name und ggf. eine Symbolik geben
  • Lustige und lockere Stimmung während der Beratung
  • Probleme „normalisieren“
  • Einbildungskraft aktivieren (z. B. durch die Wunderfrage )
  • Brainstorming – Hier eignet sich z. B. die Kreismethode

Phase 2: Nutzen herausarbeiten

In dieser Phase geht es darum, das Ziel zu überprüfen und die Vorteile der Zielerreichung sichtbar zu machen

Mögliche Fragen:

Warum ist es wichtig für Dich das Ziel zu erreichen? Was hast Du davon? ….Was noch?

Und was haben andere Menschen davon?

Phase 3: Bisherige Fortschritte / bisherige Lösungsversuche

In Phase 3 geht es darum zu sammeln, was der oder die Klient:in bereits getan hat in Richtung Erreichung des Ziels.

Mögliche Fragen:

Was hast Du bisher schon getan, um Dein Ziel zu erreichen? Welche (kleinen) Fortschritte hast Du bereits gemacht? Was hast Du zur Bewältigung Deines Anliegens schon alles unternommen?

Phase 4: Frühere Erfahrungen & Ausnahmen

Diese Phase ist wichtig, um herauszufinden, ob es bereits vergleichbare Situationen in der Vergangenheit gab, die gemeistert wurden. Hier zeigen sich meist viele Ressourcen (Fähigkeiten) der Klient:innen.

Außerdem ist es sehr wichtig herauszufinden, ob es Situationen gibt, in denen das Problem gar nicht oder weniger auftritt. Das ist ebenfalls ein möglicher Hinweis auf Veränderungspotenziale. Wenn Klient:innen mit ihrem Problem überfordert sind, schenken sie den Ausnahmen vom Problem kaum Beachtung. Wenn wir sie dazu bringen wollen, diese Ausnahmen zu untersuchen, müssen wir zielgerichtet danach fragen.

Mögliche Fragen:

Welche ähnlichen Herausforderungen hast Du in Deiner Vergangenheit bereits gemeistert?

Gibt es Momente,/Phasen,/Situationen, in denen Dein Anliegen nicht oder weniger auftritt bzw. von Dir nicht oder weniger belastend wahrgenommen wird?

Phase 5: Kleine Schritte

In Phase 5 geht es darum, nächste Schritte in Richtung des Ziels zu erarbeiten. Diese sollten möglichst verhaltensorientiert und klein (idealerweise binnen 72 Stunden umsetzbar) sein. Es hilft zudem, die Schritte mit positiven Aspekten oder spielerische Elemente zu verbinden.

Mögliche Fragen: Lass uns vorstellen, dass, wenn wir uns das nächst Mal treffen, Du einige Fortschritte gemacht hast. Ich frage dich, „Was ist passiert?“ Was antwortest Du mir? Wie sicher bist Du, dass Du den Schritt durchführen wirst? Wer/was könnte die Durchführung verhindern oder erschweren? Wie reagierst Du, wenn es weniger gut verläuft?

Phase 6: Unterstützung

In Phase 6 ist es wichtig, mögliche Hilfestellungen von außen zu identifizieren.
Mögliche Fragen: Wer kann Dir vielleicht helfen oder Dich unterstützen, Dein Ziel zu erreichen? Wer noch? Wie können sie Dir konkret helfen?

Phase 7: Zielerreichung

In dieser Phase wird die Zielerreichung überprüft. Also woran wird der / die Klient:in merken, dass das Ziel erreicht wurde?

Mögliche Fragen:

Was wird ein Beweis für Dich sein, dass Du Dein Ziel erreicht hast? Was werden Zeichen für andere Menschen sein?

Phase 8: Feiern

Was tut der/ die Klient:in, wenn das Ziel erreicht wurde? Auch hier ist eine ausführliche Beschreibung sehr hilfreich, um das Kreativzentrum und positive Emotionen zu wecken.
Feiern muss hier nicht eine „Party“ sein. Es kann genauso ein Ausflug, ein gutes selbstgekochtes Essen oder einfach nur ein Gefühl sein. Wichtig ist, dass der/ die Klient:in sich in die Situation hineinversetzt, ausführlich erzählt und ins Fühlen kommt.

Mögliche Fragen:

Wie würdest Du gern feiern, wenn Du Dein Ziel erreicht hast? Wie genau sieht das aus? Wer oder was ist dabei? Hier ist es wichtig, möglichst viele Details abzufragen, um auch emotional in „die Feier“ einzutauchen.

Noch ein kleiner Tipp:

Die Arbeit mit Skalen bietet sich in der LFB ganz besonders an.

Die Metapher einer Reise, die vom Problem zum Ziel führt, erzeugt Hoffnung und lässt auch kleine Fortschritte sichtbar werden. Sie lässt sich in fast alle der beschriebenen Phasen einbauen.

Herkunft der lösungsfokussierten Beratung

Die lösungsfokussierte Beratung wurde in den 80er Jahren in Milwaukee (Wisconsin) entwickelt. Im Zentrum für Familientherapie (BFTC), die von Insoo Kim Berg (1934-2007) und Steve De Shazer (1940-2005) gegründet wurde.

Inspiration für die LFB war das sog. Kurzzeittherapiemodell, das in den 70er Jahren vom „Brief Therapy Project“ des Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto (Kalifornien) entwickelt wurde.

Das MRI ist bekannt, da es oftmals als die Wiege der Familientherapie und Kurzzeittherapie bezeichnet wird. Personen wie John Weakland, Jay Haley, Salvador Minuchin, Cloe Madaness, Paul Watzlawick und Virginia Satir haben hier ihre Ansätze entwickelt und bei der LFB mitgewirkt

Die Forscher:innen des „Brief Therapy Project“ fanden wiederum Inspiration im amerikanischen Psychiater Milton Erickson. Er war vermutlich der Erste, der den Begriff „Kurzzeittherapie“ benutzte. 

Ich selbst habe meine Fortbildung zur lösungsfokussierten Beraterin bei Ben Furmann (Stellvertretender Direktor des Helsinki Kurzzeittherapie-Instituts) über das koelner institut für Beratung & pädagogische Professionalisierung absolviert. Wie anfangs erwähnt, gibt es viele verschiedene Einsatzmöglichkeiten und natürlich weitere Methoden und mögliche Phasen. Ich habe beispielsweise mit dem Reteaming Ansatz für lösungsorientiertes Arbeiten mit Teams sehr gute Erfahrungen gemacht.

Weiterführende Links

  • Studien zur lösungsfokussierten Beratung:

https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/01926187.2022.2069175

http://u0154874.cp.regruhosting.ru/evaluationlist/

  • Einsatz der Wunderfrage als Intervention:
  • Mehr zur Geschichte der LFB:
  • Mehr über die Kreismethode:
  • Mehr Informationen zur Reteaming-Methode:

www.reteaming.com

Quellen:

  • Fortbildung Lösungsfokussierte Beratung bei Ben Furmann (Stellvertretender Direktor des Helsinki Kurzzeittherapie-Instituts) über das koelner institut für Beratung & pädagogische Professionalisierung
  • Christa H. Herold  / Lösungsfokussierte Beratung: Ein Fünf-Bausteine-Modell
  • Lösungsorientiertes Team-Coaching: Eine reteaming® Workshop-Anleitung (essentials) / von Jörg Middendorf, Ben Furman
  • De Shazer, S. & Dolan, Y. (2008): Mehr als ein Wunder: Lösungsfokussierte Kurztherapie heute.

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