„Buzzword“ New Work

„Buzzword“ New Work

New Work ist in aller Munde – doch was genau hat es mit diesem Buzzword eigentlich auf sich? In unserem November-Club hat uns unsere Impulsgeberin Rebecca Hartmann einen Überblick verschafft, was alles zu New Work zählt und warum es mehr als nur eine Modeerscheinung, Tischkicker und ein paar fancy Saftschorlen ist. Wir haben erfahren, woher die Bewegung ursprünglich stammt, welche Handlungsfelder zu New Work zählen, was unbedingt notwendig ist, um Neues Arbeiten im Unternehmen zu etablieren und welche Verbindung zur systemischen Arbeit bestehen.

Rebecca ist Wirtschaftspsychologin, systemische Coachin, Teamentwicklerin und Beraterin mit Weiterbildungen u.a. im Bereich Retrospektiven für Teams und Journaling als Selbstcoaching Methode. Sie arbeitet mit Privatpersonen, Führungskräften und Teams an ihren Rollen, einer guten und zielgerichteten Zusammenarbeit, ihrer persönlichen Weiterentwicklung und dem Thema Führung und Selbstführung.

Visionär von New Work: Frithjof Bergmann

Frithjof Bergmann hat den Begriff der „Neuen Arbeit“ bereits Ende der 1970er geprägt. General Motors automatisierte zu dieser Zeit seine Produktion. Der steigende Grad der Automatisierung führte dazu, dass immer mehr Mitarbeiter entlassen werden sollten. Bergmann hatte die Idee, dass die Menschen ihre unfreiwillig gewonnene Zeit dafür nutzen könnten herauszufinden, was sie wirklich wirklich wollen. Seine Idealvorstellung von sinnvoll eingesetzter (Arbeits-)zeit sah wie folgt aus: 1/3 klassische Erwerbstätigkeit, 1/3 wirklich wirklich wollen, 1/3 eigene Ideen und eigenes Wachstum.

Während sich der Mensch in der Industrialisierung klar der Arbeit unterwerfen musste, war es laut Bergmann allerhöchste Zeit, dieses System umzukehren. Es liegt auf der Hand, dass Arbeit, die uns dient, uns zu glücklicheren und gesünderen Menschen machen würde. Bergmann geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt, dass wir so nicht nur gesünder leben, sondern auch auf höhrem Niveau und mit höherer Intensität arbeiten könnten.

Die Absicht ist, Arbeit so zu organisieren, dass sie nichts Gezwungenes ist, sondern man Arbeit tut, die man wirklich, wirklich will.

Frithjof Bergmann

Wer mehr zu Bergmanns Vision lesen möchte, findet hier ein lesenswertes Interview mit dem t3n Magazin.

Entwicklungsstufen von Organisationen: Frédéric Laloux

Anfang der 2000er begann Frédéric Laloux seine Forschung. Er versuchte herauszufinden, wie wir unsere Arbeit noch sinnvoller und sinnstiftender gestalten können. Er analysierte 12 Unternehmen sehr unterschiedlichster Größe, unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Branchen, die es bereits „anders“ oder „besser“ machten. Seine Erkenntnisse beschreibt er in dem Buch „Reinventing Organizations“ und skizziert die Entwicklungsstufen von Organisationen, die sich historisch gesehen aufgrund großer Veränderungen ergeben haben. Je weiter die Evolution von Organisationen fortschreitet, desto besser können Organisationen mit Komplexität umgehen.

Die vier Entwicklungstufen von Organisationen:

Tribal – Das System Wolfsrudel

Diese Organisationsform wird vor allem durch Machtausübung gegenüber Untergebenen dominiert. Im eher chaotischen Umfeld hält Angst die Organisation zusammen. Es herrscht eine Arbeitsteilung und Befehlsautorität. Beispiele sind Mafiastrukturen oder Straßengangs.

Traditionell – Das System Militär

Diese stark autoritäre Organisation zeichnet sich durch formalisierte Rollen in einer hierarchischen Pyramide aus. Exakte Prozesse sichern Stabilität und Hierarchie. Beispiele hierfür sind die Armee oder viele Behörden.

Modern – Das System Maschine

Konkurrenz, Expansion und Profite dominieren diese Organisationsform. Um die Leistung zu steigern wird Innovation wichtig. Zielvorgaben zur Kontrolle der Leistung sind ein zentrales Managementinstrument. Beispiel hierfür sind multinationale Unternehmen.

Postmodern – Das System Familie

Diese Form ist weiterhin in einer klassischen Pyramidenhierarchie organisiert, jedoch rücken gemeinsame Werte in den Vordergrund. Empowerment wird zum wichtigen Mittel um herausragende Motivation zu erreichen. Die wichtigsten Interessensgruppen werden eingebunden. Beispiele sind jegliche Formen kulturorientierter Organisationen.

Wichtig ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass diese vier Organisationsformen sich zwar historisch gesehen nacheinander entwickelt haben. Sie können aber trotzdem weiterhin parallel existieren. Viele Organisationen geraten bereits auf der postmodernen Entwicklungsstufe an ihre Grenzen, da sie noch zu sehr an alten Strukturen festhalten. Bedenkt man, dass Frithjof Bergmann seine Überlegungen bereits in den 1970er Jahren anstellte und viele Organisationen auch im neuen Jahrtausend vor große Herausforderungen gestellt werden, was das Neue Arten betrifft, wird deutlich, wie sehr wir noch am Anfang stehen.

Laloux schlägt eine neue fünfte Organisationsform vor: Die integrale-evolutionäre Organisation

Paradigmenwechsel: Die integrale-evolutionäre Organisation

Die Metapher für diese Organisationen ist der lebendige Organismus mit all seiner Komplexität in einem komplexen Umfeld. Diese “organischen” Organisationen besitzen wie das natürliche Pendant keine Machthierarchien, kennen keine Organigramme und adaptieren sich eigenständig an die Umwelt. Laloux bezeichnet diese evolutionäre Stufe als „Teal“. Teal bedeutet im Deutschen nichts anderes als als die Farbe Petrol. Da wir uns gerade mitten in diesem Paradigmenwechsel befinden, ist es noch zu früh, der neuen Stufe einen inhaltlichen Titel zu geben.

Wer mehr zu dieser Organisationsform lesen will, findet hier einen tollen Überblick.

Ist eine Organisation ein komplexes oder kompliziertes System?

Für Systemiker*innen, speziell natürlich für systemische Organisationsentwickler*innen gibt es viele spannende Ansätze, um New Work in ihre Arbeit zu integrieren. Die Entwicklungsstufen nach Laloux bereiten beispielsweise in vielfältigen Situationen den passenden Einstieg für Gespräche über Werte, Kultur oder Potentiale. Rebecca sieht Systemiker*innen in Organisationen ganz klar als Impulsgeber*innen. Die Aufgabe besteht darin, einen Impuls in die Organisation zu geben und dann die Richtung, in die sich der Impuls bewegt zu begleiten.

Die großen Treiber, mit denen sich ALLE Organisationen aktuell auseinandersetzen müssen, sind die technologische Entwicklung, die Geschwindigkeit, mit der sich Dinge verändern, unsere Wertewandel und der demografische Wandel, die Entgrenzung von Privatem und Arbeit, Individualisierung und die insgesamt steigende Komplexität.

Organisationen haben es mit immer komplexer werdenenden Problemen zu tun, als mit komplizierten. Die Unterscheidung von „komplexen“ und „komplizierten“ Systemen hat managerSeminare anschaulich aufbereitet. Zum Artikel geht es hier entlang.

Die Lösung für komplexe Probleme im Kontext des Systemischen Gedankens liegt auf der Hand. Die Systemische Schleife.

Die Systemische Schleife als Methode

Als Metamodell gibt die Systemische Schleife dem Beratersystem Orientierung für den Beratungsprozess. Das erweiterte Modell der Systemischen Schleife besteht aus 5 Phasen: 

  1. Beobachtungen über das System sammeln 
  2. wertschätzende Hypothesen aufstellen 
  3. Überprüfen der Hypothesen durch (systemische) Fragestellungen 
  4. Ableiten von Arbeitshypothesen 
  5. Gestalten von Interventionen, Wiederholung 1.-5. 

Johannes Paetzel, Systemischer Organisationsentwickler & Coach hat bereits Ende 2020 einen tollen Artikel zur Systemischen Schleife im Systemischen Netzwerk veröffentlicht. Seinen Artikel könnt ihr hier lesen.

Resumée des Systemischen Clubs

Einen letzten Impuls, den Rebecca den Club-Teilnehmer*innen noch mit auf den Weg geben wollte, ist der „Golden Circle“ von Simon Sinek. Den berühmten TED-Talk dazu könnt ihr euch hier anschauen.

Sinek stellt die Frage nach dem Warum. Sein „Golden Circle“ besteht aus drei Kreisen. Der äußere ist das Was und kann von den meisten Organisationen einfach definiert werden. Was ist das Produkt oder die Dienstleistung, die meine Organisation anbietet? Der zweite und mittlerer Kreis ist das Wie. Auch diese Ebene kann in der Praxis meist noch gut beschrieben werden. Was ist das besondere an unserem Produkt? Was unterscheidet uns von Wettbewerbern? Der dritte und innere Kreis ist das Warum. Die Beschreibung dieses Kerns stellt viele Organisationen vor eine Herausforderung: Warum tun wir das, was wir tun?

Sinek schlägt also vor, immer mit dem Warum zu beginnen und neue Prozesse von Innen heraus zu entwickeln. Das kann eine Produktentwicklung sein, das kann aber auch der Prozess von New Work sein. Veränderungen erreichen nur dann ihr Ziel, wenn sie von Innen heraus entstehen und auch von unserem Innersten akzeptiert und gelebt werden.

Die Frage nach dem Wofür?

Denken wir nochmals zurück an Frithjof Bergmann und die Automatisierung bei General Motors. Den Mitarbeiter*innen von General Motors wurden Veränderungen von Außen vorgeschrieben. Ihre Art zu Arbeiten wurde von Entscheidungen im Außen verändert. Einige von ihnen haben ihre Arbeit aufgrund dieser Entscheidungen sogar verloren. Und sie haben eine Chance dazu gewonnen: Sie haben unerwartet die Möglichkeit bekommen, selbst über den Einsatz ihrer Zeit und Arbeit zu entscheiden. Der Ort, an dem Entscheidungen getroffen werden, wandert in einer Organisation, die sich New Work verschrieben hat, vom Außen ins Innen.

Im Systemischen Club haben wir diesen Gedanken sogar noch ein bisschen weiter entwickelt. Statt nach dem Warum zu fragen, sollte vielmehr nach dem Wofür gefragt werden. „Warum?“ impliziert immer einen Blick zurück, in die Vergangenheit. „Wofür?“ richtet den Blick nach vorne, in die Zukunft. Die neuen Möglichkeiten, die ein Umdenken in der Arbeit schaffen kann, werden so noch weiter und motivierender.

New Work: Ein Gedicht zum Schluss

Rebecca hat sich in ihrer Präsentation häufig auf „Les Enfants Terrible“ bezogen. Die Schule/ Initiative/ Community für neues Arbeiten hat, statt ein eigenes Manifest für New Work zu formulieren, ein Gedicht des österreichischen Schriftstellers Peter Handke auf ihrer Website geführt.

Mit diesem Gedicht wollen wir Rebecca für ihren unglaublich umfassenden Impulsvortrag danken und Euch dazu motivieren, euch (noch) intensiver mit den Gedanken des Neuen Arbeitens auseinander zu setzen und sie in Organisationen zu verbreiten:

Spiele das Spiel
Gefährde die Arbeit noch mehr.
Sei nicht die Hauptperson.
Such die Gegenüberstellung.
Aber sei absichtslos.
Vermeide die Hintergedanken.
Verschweige nichts.
Sei weich und stark.
Sei schlau, lass Dich ein und verachte den Sieg.
Beobachte nicht, prüfe nicht,
sondern sei geistesgegenwärtig bereit für die Zeichen.
Sei erschütterbar.
Zeig Deine Augen,
wink die anderen ins Tiefe,
sorge für den Raum und
betrachte einen jeden in seinem Bild.
Entscheide nur begeistert.
Scheitere ruhig.
Vor allem hab Zeit und nimm Umwege.
Lass Dich ablenken.
Mach sozusagen Urlaub.
Überhör keinen Baum und kein Wasser.
Kehr ein, wo Du Lust hast und gönn Dir die Sonne.
Vergiss die Angehörigen, bestärke die Unbekannten,
bück Dich nach Nebensachen,
weich aus in die Menschenleere,
pfeif auf das Schicksalsdrama,
missachte das Unglück,
zerlach den Konflikt.
Beweg Dich in Deinen Eigenfarben,
bis Du im Recht bist und
das Rauschen der Blätter süß wird.
Geh über die Dörfer.
Ich komme Dir nach.

Textauszug aus Peter Handke, Über die Dörfer.

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