Systemische Therapie – kurz erklärt

Systemische Therapie – kurz erklärt

Die Systemische Therapie ist seit Kurzem als Richtlinienverfahren der gesetzlichen Krankenkassen anerkannt. Da wir davon ausgehen, dass nicht alle unserer Leser*innen ausgebildete Systemiker*innen sind, möchten wir euch die Ursprünge und Inhalte der Systemische Therapie heute etwas näher bringen. Durch die Anerkennung als Richtlinienverfahren sollte über die Bedeutsamkeit der Systemischen Therapie weiter aufgeklärt werden.

Bei der Systemischen Therapie handelt es sich um ein eigeständiges psychotherapeutisches Verfahren, welches in den unterschiedlichen Settings der Einzel-, Paar-, Familien- und Gruppentherapie angewendet werden kann. 

Die Entstehung der systemischen Therapie

Die Systemische Therapie hat sich in den 1980er Jahren aus der Familientherapie heraus entwickelt. Die Familientherapie entstand in den 1950er Jahren in den USA und in den 1960er Jahren in Europa, vor allem in Deutschland und Italien. Im Mittelpunkt dieser Therapieform stand, dass ein auffälliges, „verrücktes“ Verhalten nicht nur einen innerseelischen Konflikt darstellt. Vielmehr kann ein solches Verhalten auch eine passende Reaktion auf Umweltbedingungen, also zum Beispiel auf die Familienstruktur sein. Somit kommt es zu einer therapeutischen Blickerweiterung des Individuums auf seine Beziehungen und größere Bezugssysteme. Die Analyse von Familienstrukturen und -dynamiken haben sich schließlich stärker an systemisch-konstruktivistischen Grundideen orientiert. Beim Konstruktivismus geht es vor allem darum, dass wir alle unsere eigene Welt beziehungsweise Wirklichkeit konstruieren und damit eine individuelle Sicht auf die Dinge haben.

Was verbirgt sich hinter diesem Ansatz?

Die Systemische Therapie sieht Probleme nicht als Eigenschaften einzelner Personen, sondern als Ausdruck der aktuellen Kommunikations- und Beziehungsbedingungen in einem System/Setting. Die jeweiligen Symptome können ein Hinweis auf eventuelle Störungen der Entwicklungsmöglichkeiten sein. Gesundheit, Krankheit und auch die Lebensqualität der Menschen stehen in einem engen Zusammenhang mit ihren relevanten Beziehungen und den Lebenskonzepten. 

In jüngsten Geschichte der Systemischen Therapie hat sich der Blick auf Familienstrukturen auf die sie umgebenden Systeme ausgeweitet, so dass beispielsweise auch die Arbeit oder das Wohnumfeld zu relevanten Systemene zählen.

Das Ziel

Das Ziel der Systemischen Therapie besteht darin, die Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten der einzelnen Personen und des gesamten Familiensystems zu erweitern. Dies geschieht ressourcenorientiert.

Der/die Therapeut*in hat die Aufgabe, die bisherigen gelebten Muster und Vorannahmen in Frage zu stellen. Sein/ihr Ziel ist es, zu anderen Sichtweisen anzuregen. Dies ermöglicht neue Interpretationsvarianten und -regeln. Eine Vereinfachung können entsprechende Gesprächstechniken, wie das Umdeuten (engl. auch „Reframing“), erzielen. Das Umdeuten stellt eine Situation in einen anderen Rahmen und schreibt ihr eine andere Bedeutung zu.

Die Systemische Therapie hat zudem verschiedene Methoden hervorgebracht, um die Neugier und das Interesse für Veränderungsprozesse zu wecken. Als Beispiele sind hier die zirkulären Fragen zu nennen. Dabei werden die Menschen dazu angeregt, ihre eigenen handlungsleitenden Annahmen über Beziehungen und ihre Einschätzungen der Motive und Prämissen der anderen auszusprechen. Durch die Aussprache kann eine Diskussion und dadurch eine Veränderung angeregt werden. Alternativ kann der/die Therapeut*in der Familie oder auch in anderen Systemen dazu auffordern, sich in einer Skulptur darzustellen. Diese Skulpturarbeit ermöglicht die Darstellung und das Erfahrbarmachen von Beziehungen. Des Weiteren lassen sich durch den Gebrauch von Bildern und Metaphern auch die Wahrnehmungen und Bewertungen verändern. Auch Reflecting Teams können hier Abhilfe schaffen. 

Als Richtlinienpsychotherapiemethode

Im November 2018 wurde die Systemische Therapie bereits als Richtlinienverfahren anerkannt. Im November 2019 wurden die rechtlichen Grundlagen für das neue Richtlinienverfahren geändert. Zudem wurden die Vergütungsregelungen von den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung festgelegt. Seit dem 01. Juli 2020 ist die Systemische Therapie nun in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen aufgenommen worden und kann dementsprechend abgerechnet werden. Die Leistung der systemischen Therapeut*innen kann insbesondere für folgende fünf Bereiche nützlich sein: Angststörungen und Zwangsstörungen, unipolare depressive Störungen, Schizophrenie, Substanzkonsum- sowie Essstörungen.

Zusammenfassung

Die Systemischen Therapeut*innen verstehen sich nicht als Experten, die eine Diagnose stellen und dann eine Lösung vorgeben. Sie führen stattdessen ein neugieriges und respektvolles Gespräch mit ihren Klient*innen. Auf diese Weise unterstützen sie die Klient*innen dabei, Blockaden in ihrer Entwicklungsdynamik zu lösen und neue Perspektiven und befriedigendere Muster des Zusammenlebens zu entwickeln.

Unterscheidung zu den anderen Therapieformen

Anders als bei den anderen Therapieformen können die Sitzungen bei der Systemischen Therapie unregelmäßig stattfinden. Dabei wird sehr individuall auf die Klient*innen eingegangen und sich an ihren Ressourcen und Bedürfnissen orientiert.

1. Unterscheidung zur Psychoanalyse

Sigmund Freud hat seine entwickelte Psychoanalyse wie folgt beschrieben:

„Es handelt sich dabei erstens um ein Verfahren, welches die kaum zugänglichen seelischen Vorgänge untersucht. Zweitens handelt es sich um eine Behandlungsmethode für neurotische Störungen und drittens stellt die Psychoanalyse eine Reihe von psychologischen Einsichten dar, die mit ihrer Hilfe gewonnen werden konnten und zu einer neuen wissenschaftlichen Disziplin zusammenwachsen.“

Sigmund Freud über die Psychoanalyse

Es handelt sich demnach um eine Konflikttheorie, die die widerstreitenden Kräfte der Persönlichkeit untersucht und somit die eigenen unbewussten Motive erforscht und deren Existenz anerkennt. Des Weiteren werden abgespaltene und abgewiesene Teile des Selbst wieder integriert. Demnach geht es um die Befreiung von verinnerlichten Fremdbestimmungen, welche als Ursachen für psychische Störungen und damit verbundene Symptome fungieren. 

Bei der Systemischen Therapie hingegen werden individuelle und zwischenmenschliche Symptome, Störungen und Probleme betrachtet, um ein Verständnis hierfür zu erlangen. Die Probleme liegen fast immer in den kommunikativen Prozessen. Darüber hinaus hat die Systemische Therapie das Ziel ein Anregungspotential für die Selbstveränderung von dynamischen, selbstorganisierten sozialen Systemen darzustellen. Die Selbstwirksamkeit des Klientensystems zu stärken ist hier stets oberstes Ziel.

2. Unterscheidung zur Verhaltenstherapie

Bei der Verhaltenstherapie handelt es sich um eine Lerntheorie, die aus den USA stammt. Sie zielt darauf ab, dass erlerntes Verhalten auch wieder verlernt werden kann. Stattdessen können neue, angemessenere Verhaltensmuster erlernt werden. Dies geschieht beispielsweise durch Problem- und Bedingungsanalysen. Dadurch kann eine genaue Diagnose des Problems erstellt werden, sodass sich das Problem schlussendlich lösen lässt.  Die Verhaltenstherapie geht vor allem ziel- und lösungsorientiert vor und wendet häufig Verhaltensübungen an. Diese können entweder offen in der Sitzung oder als Hausaufgabe geschehen oder aber verdeckt und damit nur in den Vorstellungen der Klient*innen oder Patient*innen. Häufig kommen hierfür angstauslösende Reize zur Verwendung, oder die Verstärkung von erwünschten und Löschung unerwünschten Verhaltens.

Die Systemischen Therapie arbeitet hingegen ressourcenorientiert. Es geht darum, dass die Erwartungen der Klient*innen mit den Möglichkeiten der Angebote der Therapeut*innen übereinstimmen. Hierbei ist es wichtig, dass ein offener Dialog zwischen den Klient*innen und den Therapeut*innen entsteht, der die Autonomie der Menschen respektiert und gleichzeitig den bisherigen Annahmen und Einschränkungen respektlos begegnet. Gegebenenfalls können Außenstehende in den Prozess mit eingebunden werden.

3. Unterscheidung zur humanistischen Therapie

Die humanistische Therapie erkundet und transformiert das Erleben der Patient*innen in ihren Beziehungskontexten, so dass psychisches Leid vermieden, beziehungsweise bewältigt werden kann. Durch die Aktivierung und Entfaltung menschlicher Ressourcen als Potentiale kann die Psyche wachsen. Der Mensch entwickelt sich weiter und differenziert seine sozialen Kontexte, so dass er ein von Sinn getragenes, selbstverwirklichendes, authentisches Leben führen kann. Hierbei wird der Mensch in seiner bio-psycho-sozialen Ganzheit gesehen, was typisch für humanistische Philosophie ist. Demnach trägt der Mensch bereits die für die Befreiung aus psychischem Leid erforderlichen Ressourcen in sich, welche nur noch durch die Therapie aktiviert werden müssen. Schlussendlich kann der Mensch seine Probleme so selbst lösen. Folgende Verfahren sind hierbei möglich: Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie, Logotherapie, Psychodrama oder Tiefenpsychologische Körpertherapie.

Anders als bei der Systemischen Therapie wird dieses Therapieverfahren nicht von der gesetzlichen Kasse unterstützt, so dass die Kosten hierfür privat bezahlt werden müssen. Dennoch wird die humanistische Therapie bereits seit Jahrzehnten in Kliniken und Praxen angewandt.

Fazit

Die Systemische Therapie ist ein Verfahren, welches endlich als Richtlinienverfahren anerkannt wurde und von der gesetzlichen Krankenkasse finanziert wird. Somit kann nun vielen Menschen ressourcen- und lösungsorientiert geholfen werden. Probleme in der Kommunikation in verschiedenen Systemen bzw. Settings können gelöst werden und ermöglichen so ein friedvolles Miteinander.

Durch die Kostenübernahme der Krankenkassen haben nun mehr Menschen die Möglichkeit, das passende Therapieverfahren für sich selbst zu finden. Im Sinne des Konstruktivismus sollten Probleme in einer individuell konstruierten Wirklichkeit auch genau so individuell gelöst werden können.

Falls ihr weitere Fragen zur Systemischen Therapie habt oder selbst Systemiker*in seid und etwas ergänzen wollt, freuen wir uns sehr auf den Austausch mit euch in unseren sozialen Kanälen!

Quellen:

DGSF – Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie e.V.
SG – Systemische Gesellschaft. Deutscher Verband für systemische Forschung, Therapie, Supervision und Beratung e.V.
DPV – Deutsche Psychoanalytische Vereinigung. Zweig der IPA. 
therapie.de von Pro Psychotherapie e.V.

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