Selbstwert mit Hilfe von Ritualen stärken
Für sich selbst einstehen? Entscheidungen von innen heraus treffen? Sich selbst etwas Gutes tun? Leider werden diese natürlichen Formen der Selbstfürsorge nicht immer ganz selbstverständlich im Alltag vollzogen. Häufig ist es sogar so, dass viele darunter leiden, dass sie nicht in dem Ausmaß auf ihre Bedürfnisse eingehen, wie sie sich das für sich selbst wünschen und sich selbst eher abwerten, kritisieren oder hassen. Was man unter einem „schwachen Selbstwert“ verstehen kann und wie man sich selbst oder mit psychotherapeutischer Begleitung anhand von Ritualen dabei helfen kann, diesen zu stärken, erfahrt ihr in diesem Blogeintrag von unserer Gastautorin Sandra Burgstaller.
Definition von Selbstwert
Der Begriff Selbstwert wird im alltäglichen Sprachgebrauch sehr häufig verwendet, nämlich meist als Synonym für Selbstbewusstsein, worunter das Bewusstsein von sich selbst verstanden werden kann, oder für Selbstvertrauen, das sich eher auf das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten bezieht. Häufig spricht man auch vom Selbstwertgefühl, wobei der Selbstwert weniger ein Gefühl als eine innere Haltung ist. Das Selbstwerterleben ist wesentlich konstanter und unabhängiger als Gefühle es sind.
Selbstwert setzt sich aus zwei Komponenten zusammen
Der Begriff Selbstwert, so wie ich diesen verstehe, setzt sich aus zwei Komponenten zusammen. Er bezieht sich sowohl auf den Wert, den man sich selbst beimisst, als auch auf jene Werte, die einem selbst wichtig sind. Für eine genauere Bestimmung des eigenen Selbstwertes könnte man folgende Fragen heranziehen: „Erlebe ich mich als wertvolles Mitglied auf dieser Welt?“ und „Inwiefern bringe ich meine Werte zum Ausdruck beziehungsweise inwiefern integriere ich diese in mein Leben?“ Diesem Verständnis nach lässt sich sagen, dass je wertvoller sich ein Mensch fühlt und je intensiver er seine Werte lebt, umso besser ausgeprägt, stabiler und damit unabhängiger ist sein Selbstwerterleben einzustufen. In diesem Zusammenhang ist es also erforderlich danach zu fragen, wie sehr der eigene Selbstwert von äußeren Bedingungen abhängig ist. Ist er stark davon abhängig, wie andere einen bewerten, so spricht man von einem sehr instabilen oder schwachen Selbstwert. Ist dieser vom äußeren Umfeld eher unabhängig und orientiert sich an inneren Werten, so könnte man von einem stabilen, starken Selbstwert sprechen.
Ein schwacher Selbstwert ist Ausdruck negativer Erfahrungen
Ein schwacher Selbstwert äußert sich, indem man sich eher wertlos, klein, ersetzbar, ungeliebt, mutlos, kraftlos, unerkannt, unsichtbar, verloren, verzweifelt, schuldig oder erschöpft fühlt. Er ist sozusagen Ausdruck davon, dass negative Erfahrungen, die in der Vergangenheit gemacht worden sind, noch einen sehr großen Einfluss auf das aktuelle Erleben haben. Dieses Erleben engt die Sichtweise auf das Leben massiv ein und hindert daran, sein volles Potential zu leben. Häufig geraten Menschen dadurch in einen Teufelskreis, der dazu führt, dass dieses Mangelerleben noch zusätzlich seitens des Umfelds gespiegelt und damit verstärkt wird. Mangelnde Wertschätzung und wenig Respekt von anderen können also nicht nur der Ursprung, sondern auch die Folge von einem schwachen Selbstwert sein.
Im besten Fall gelangen Menschen irgendwann an einen Punkt in ihrem Leben, an dem sie so nicht mehr weiter machen, an dem sie ihr Leben umkrempeln und ausbrechen wollen. Sie haben genug davon, sich selbst abzuwerten, hart mit sich umzugehen und in der Negativität zu verharren.
Die Sehnsucht danach, sich selbst zu spüren, sich wahrzunehmen, für sich selbst einzustehen und das eigene Wesen nach außen zu zeigen wird immer größer.
Sandra Burgstaller
Doch wie macht man sowas? Was kann man tun, damit sich das verändert? Wie kann man sich selbst aus dieser Opferrolle heraus helfen? Das sind die großen Fragen, die man sich in solchen Lebensphasen dann oftmals stellt.
Methode der Rituale
Im Zuge meiner psychotherapeutischen Tätigkeit und meiner persönlichen Erfahrungen habe ich genau für solche Anliegen die (Heil-)Kraft der Rituale entdeckt. Rituale sind Erfahrungsräume, die es ermöglichen, aus dieser profanen Alltagswelt auszusteigen und sich ganz zentriert, bewusst und konstruktiv mit seinen Themen auseinanderzusetzen, also: Endlich etwas tun können!
Die Bedeutsamkeit von Ritualen speziell für die bewusste Gestaltung von Veränderungssituationen und Übergangsprozessen wurde bereits in zahlreichen wissenschaftlichen Studien belegt. Rituale erlangten dadurch nicht zuletzt auch in der Systemischen Familientherapie einen besonderen Stellenwert. Bei der Anwendung von Ritualen in psychotherapeutischen Prozessen, geht es darum, mit Klienten, *-innen ein Ritual vorzubereiten, gemeinsam eines durchzuführen oder/und – im Sinne einer Reflexion –gewonnene Erkenntnisse nachzubereiten. Rituale dienen im therapeutischen Setting dazu, Heilungsprozesse zu unterstützen und soziale und psychische Übergangsprozesse zu strukturieren. Damit intensivieren sie das Entwicklungs- und Veränderungspotenzial von therapeutischen Prozessen.
Jedes Ritual ist einzigartig
Jedes Ritual ist wie jedes Anliegen selbst: individuell und einzigartig. Dennoch haben sie in ihrer Abfolge und in ihrer Bedeutsamkeit durchwegs ähnliche Züge. Sie können sowohl drinnen als auch in der Natur, die einen ganz besonders schönen Rahmen bietet, stattfinden. Für die Abhaltung ist es erforderlich, sich umfassend vorzubereiten, sich einzustimmen, sich klar auszurichten und sich von alltäglichen äußeren Reizen abzuschirmen. Sie können dann dafür genützt werden, um jemandem oder sich selbst zu verzeihen oder um alte Glaubenssätze oder Verhaltensweisen loszulassen und dadurch Raum für Neues zu schaffen.
Weiters kann man auch Dankbarkeits-, Kräftigungs- und Segnungsrituale gestalten. Rituale bieten einen sicheren Rahmen, um mit geschärften Sinnen und erhöhter Sensibilität mit seinem Schmerz und seinem Leid in Kontakt zu treten und tiefe Veränderungen einzuleiten. Sie haben einen starken Einfluss auf das Unterbewusstsein und tragen damit zu einer neuen Ordnung im Leben bei. Solche Übergangsrituale markieren also speziell ausgewählte Wendepunkte und lassen sich mit den kurzen Pausen zwischen zwei Atemzügen vergleichen: Sie gehören zum Ganzen, machen aber die Unterschiede sichtbar, da Altes losgelassen und Neues willkommen geheißen wird. Diese bewusst wahrgenommene Ruhe zwischen den Zeiten kann verunsichern, weil sie mit Ungewissheit und Unkontrollierbarkeit bezugnehmend auf das, was kommt, einhergeht. Gleichzeitig kann sie eine enorme Ressource dafür sein, um Kraft zu tanken, die eigene Ausrichtung mitzubestimmen, Vergangenes noch einmal zu würdigen und Platz für Neues zu schaffen. Sie können dazu beitragen, nicht in den Gefühlen der Hilflosigkeit und Ohnmacht zu verharren, sondern Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, indem der Einflussraum selbstbestimmt gestaltet wird.
Resümee
So habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, besonders dann, wenn es darum geht, den Selbstwert von Klienten, *-innen zu stärken, das Potential der Rituale vielfältig und individuell angepasst in meine psychotherapeutische Arbeit zu integrieren, um damit unliebsamen Gefühlen und Themen einen gebührenden Platz einzuräumen und Transformationserfahrungen aktiv einzuleiten. Immer wieder darf ich die Erfahrung machen, dass sich Menschen dadurch auf eine neue Art und Weise selbst kennen lernen, ihr Innenleben bewusst erforschen und darin wieder Mut, Liebe und Zuversicht erfahren, was ihnen ermöglicht, sich selbst und dadurch auch ihren Mitmenschen mit mehr AKZEPTANZ, LIEBE UND MITGEFÜHL zu begegnen.
Sandra Burgstaller ist Psychotherapeutin (Systemische Familientherapie) und Sozialarbeiterin. Sie arbeitete im mobilen sozialpsychiatrischen Dienst, im Krankenhaus in den Bereichen der Palliativstation, Psychoonkologie, Schmerztherapie und Psychosomatik und leitete die Psychosoziale Beratungsstelle für erwachsene Menschen. Zurzeit ist sie ausschließlich in freier Praxis tätig und bietet Einzel-, Paar- und Gruppentherapien an. Außerdem veröffentlichte sie bereits einige Fachartikel zum Thema der Palliativen Psychotherapie.
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